DWV-Positionspapier: Fairen Wettbewerb für die europäische Wasserstoffwirtschaft garantieren: Resilienzkriterien in öffentlichen Förderinstrumenten der Europäischen Union
Im Zuge des grünen Wasserstoff-Markthochlaufs wird Wasserstoff zu einem elementaren Energieträger für eine versorgungssichere erneuerbare Energiewirtschaft. Damit einhergehend kann sich ein enormer Markt für Wasserstofftechnologien mit bis zu 5,4 Millionen neuen Arbeitsplätzen in der Europäischen Union (EU) entwickeln. Es gilt daher, jetzt die Voraussetzungen zu schaffen, dass sich europäische Hersteller im globalen Wettbewerb eine führende Marktposition sichern können. Die Resilienz der Wertschöpfungsketten in Deutschland und der EU ist in diesem Zusammenhang essenziell.
In einem zunehmend kompetitiven globalen Umfeld für den Einsatz grüner Technologien muss Europa widerstandsfähige Lieferketten für Elektrolyseure und Brennstoffzellen aufbauen und erhalten. Konkurrenten außerhalb der EU können aktuell Wasserstofftechnologien um bis zu 50 Prozent günstiger als europäischer Hersteller anbieten. Oftmals ist dies durch geringere Lohn- und Energiekosten oder aufgrund von massiven staatliche Fördermechanismen in Verbindung mit lokalen Marktanreizen möglich. Deutschland und die EU fördern in den nächsten Jahren den Hochlauf der grünen Wasserstoffproduktion sowie die Transformation der Industrie zur klimaneutralen Produktion mit mehreren Milliarden Euro. Diese Förderung muss gleichzeitig die globale Marktpositionierung der europäischen Wasserstoffwirtschaft und die europäische Versorgungssicherheit mit Wasserstofftechnologien absichern.
Wenn in der EU und Deutschland wesentliche Komponenten oder ganze Elektrolyseanlagen aus einzelnen Nicht-EU-Ländern bezogen werden, droht eine kritische Abhängigkeit. Dies ginge mit dem Verlust der Wertschöpfungsketten innerhalb der EU einher. Bei einem solchen Verlust der deutschen und europäischen Produktion drohen nicht nur der Verlust von Einnahmen, sondern internationale Zulieferer aus dem Nicht-EU-Raum könnten europäische Projektentwickler mit Lieferstopps von Schlüsselkomponenten und Ersatzteilen in Versorgungsengpässe, mit negativen Auswirkungen auf die Energieversorgungssicherheit, treiben. Aus diesem Grund müssen wesentliche Produktionskapazitäten von Elektrolyseuren, Brennstoffzellen, Wasserstoff-Turbinen oder Wasserstoff-Motoren sowie Wasserstoff-Nebenanlagen in der EU gehalten werden.
Die europäische Industrie verfügt über das Know-how und das Potenzial, um die Produktion von Wasserstofftechnologien auf ein völlig neues Niveau zu heben. Mit den richtigen Investitionsanreizen können diese Technologien schnell skaliert und somit die Kosten für grünen Wasserstoff deutlich abgesenkt werden. Dies würde neben dem beschleunigten Wasserstoff-Markthochlauf, auch neue Arbeitsplätze schaffen und die europäische Wirtschaft stärken. Investitionssichere Rahmenbedingungen sind der Schlüssel, um Europa zu einem globalen Zentrum für grüne Wasserstofftechnologien zu machen und somit einen wichtigen Beitrag zum internationalen Klimaschutz zu leisten. Gleichzeitig wirkt sich der Hochlauf der europäischen elektrolytischen Wasserstoffproduktion in Verbindung mit Wasserstoffkraftwerken zukünftig positiv auf die Energieversorgungssicherheit der EU aus. Dieses gilt insbesondere vor dem Hintergrund der erforderlichen digitalen Vernetzung der zukünftig kleinteiligeren Anlagensysteme.
Deshalb ist es wichtig, dass öffentliche Mittel nicht nur für die billigsten, sondern auch für solche Projekte vergeben werden, welche die Resilienz der europäischen Wertschöpfungskette für Elektrolyseure und Wasserstoffkraftwerke stärken und der Industrie in der EU und Deutschland eine weitere Skalierung und Kostensenkung ermöglichen können.
Internationale Einordnung
Die Einhaltung der Pariser Klimaziele und damit einhergehende Energiewende in Europa sind im vollen Gange. Es ist essenziell, dass kritische Industrien, die für die Energiewende und insbesondere den Hochlauf der Wasserstoff-Marktwirtschaft wichtig sind, in Europa Fuß fassen können und Innovation und Wertschöpfung verankern. Die EU verfolgt das Ziel, zum Weltmarktführer für Wasserstofftechnologien zu werden. Der Net-Zero Industry Act (NZIA) und der Green Deal sind hierbei wegweisend. Hinzu kommt, dass die neue Europäische Kommission ihren Schwerpunkt vermehrt auf die Themen Verteidigung und internationaler Wettbewerb legen will.
Der globale Wettbewerb rund um die Etablierung der Wasserstoffindustrie ist eine zentrale Herausforderung für den Hochlauf der europäischen Wasserstoff-Marktwirtschaft. Die größten Volkswirtschaften haben bereits massive Investitionsprogramme aufgelegt, um grüne Technologien und die Energiewende zu subventionieren: USA (Inflation Reduction Act), China (subventionierte Staatskonzerne), UK (Renewable Hydrogen Auction), Japan (GX Transition: Clean Hydrogen Production), Indien (National Green H2 Mission). Diese Förderschemen enthalten zum Teil strenge Local Content-Kriterien, die den internationalen Wettbewerb zusätzlich verzerren. Auch deshalb steht Europa unter Zugzwang, ein entsprechendes Level playing field zu entwickeln.
Die Entscheidung über die internationale Positionierung der europäischen Wasserstoffindustrie fällt noch vor Ende des Jahrzehnts. Der Schutz der europäischen Industrie vor staatlich subventionierten Dumpingpreisen ist entscheidend für die wirtschaftliche Stabilität in der EU. Deshalb müssen jetzt Maßnahmen ergriffen werden, um eine wettbewerbsfähige Wasserstoffindustrie in der EU zu etablieren und gleichzeitig die vorhandenen Unternehmen in zu schützen. Es gilt, Rahmenbedingungen zu schaffen, die einen fairen Wettbewerb zwischen den Marktteilnehmern gewährleisten. Gleichzeitig gilt, mit europäischen Fördermitteln keine zusätzlichen fossilen Emissionen anzureizen.
Steigerung der Resilienz durch qualitative Kriterien in öffentlichen Ausschreibungen
Die Europäische Kommission hat im Rahmen der aktuellen Auktion der European Hydrogen Bank (EHB) Kriterien für die Förderung von Elektrolyse- und anderen Wasserstofftechnologien festgelegt. Die Kriterien umfassen aktuell unter anderem folgende Bereiche zur Steigerung der Resilienz:
- Projekte müssen zu einer diversifizierten Lieferkette beitragen und eine Abhängigkeit von einem einzigen Drittland vermeiden, die die Versorgungssicherheit bei Elektrolyseuren gefährden könnte. Deshalb müssen Projekte die Beschaffung von Elektrolyseur-Stacks, deren Oberflächenbehandlung, Zellenproduktion oder Stack-Montage in China erfolgt, auf höchstens 25 Prozent (in MWe) beschränken.
- Projekte müssen die Einhaltung der Sicherheitsnorm ISO 22734:2019 für Wasserstoffgeneratoren mit Wasserelektrolyse – Industrie-, Gewerbe- und Wohnanwendungen“ oder der neuesten genehmigten Version, die diese ersetzt, garantieren.
- Projekte müssen einen Cybersicherheitsplan vorlegen, in dem dargelegt wird, wie zur Gewährleistung der Sicherheit der Anlage die Betriebskontrolle der Anlage bei einer im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ansässigen Stelle verbleibt und die Daten im EWR gespeichert werden.
- Zusätzliche Informationen werden im Rahmen der Beschaffungsstrategie für Elektrolyseure zu folgenden Punkten gesammelt: 1. Beabsichtigte Herkunft der Anlagen, 2. CRM-Intensität der Anlagen, 3. Recyclingstrategie des Elektrolyseur-OEM, 4. welche Normen die Anlage erfüllt, 5. ob der OEM ausländische finanzielle Unterstützung erhält.
Der DWV bewertet insbesondere die vorgebrachte Eingrenzung der spezifischen Herstellungsorte als problematisch. Die explizite Nennung von Regionen oder Staaten wird mit hoher Wahrscheinlichkeit negative Gegenreaktionen hervorrufen, die das Potenzial besitzen, zu handelspolitischen Auseinandersetzungen zu eskalieren. Mit einer solchen Entwicklung wäre dem Wasserstoff-Markthochlauf und Klimaschutz wenig geholfen. Vor diesem Hintergrund hat der DWV mit seinen Mitgliedern folgende qualitativen Präqualifikationskriterien für öffentliche Förderungen identifiziert und möchte diese in die politische Diskussion einbringen, um einen resilienten Wasserstoff-Markthochlauf effizienter zu erreichen:
1. CO2-Fußabdruck
Für Förderungen und die regulatorische Bewertung von verpflichtenden Emissionszielen müssen solide Umweltstandards in der Beschaffung eine zentrale Rolle spielen. Aus diesem Grund schlagen wir die Berücksichtigung der CO2-Emissionen für die gesamte Produktions- und Transportkette der Elektrolyseure vor. Bei der Bewertung der Fördermittelgewährung ist dieser CO2-Fußabdruck verpflichtend zu berücksichtigen. Eine Teilnahme an der Ausschreibung, der Anrechnung auf verpflichtende Emissionsminderungsziele oder der Gewährung von Fördermitteln ist nur bei der Unterschreitung von zuvor festgelegten maximalen Emissionsgrenzwerten für die eingesetzten Technologiekomponenten möglich.
Für die Berechnung des CO2-Fußabdrucks während des Transports empfiehlt es sich, einen Standardwert für verschiedene Transportmedien und Distanzen festzulegen. Wir schlagen vor, ab einem Transportweg von über 2.000 Kilometern einen hinzuzurechnenden Emissionswert pro weitere 1.000 Kilometer zusätzlicher Transportstrecke festzuschreiben. Diese Emissionswerte müssen ab 2030 sukzessive abgesenkt werden. Sollte ein emissionsfreier Transport (beispielsweise per Schiff angetrieben durch grünen Ammoniak oder Methanol) möglich sein, sollte den Antragsstellern eine zertifizierte Ermittlung der Emissionen für den Transport im Einzelfall zugestanden werden. Zur Verringerung der Komplexität muss sich die Bemessung der Emissionen auf zentrale Baugruppen der Wasserstoffsysteme beziehen, wie Elektrolyseur-Stacks oder die Brennstoffzellen. Wenn Komponenten in vormontierter Form verkauft werden, dann werden die CO2-Emissionen der einzelnen Komponenten addiert.
Ebenso werden die Emissionen bei der Produktion berücksichtigt. Die Hersteller müssen für die Komponenten Zertifikate über die CO2-Emissionen ausstellen, die von Dritten überprüfbar und für die sie haftbar sind. Anhand einer festgelegten Additionstabelle könnten unterschiedliche Stoffe einem Faktor zugeordnet werden. Beispielsweise ist es möglich, grünen Stahl (Stahl, der mit erneuerbaren Energien produziert wurde) für die Herstellung von Elektrolyseuren bzw. erneuerbaren Energieanlagen zu verwenden. Diese Komponenten würden dann mit den entsprechend ermittelten Emissionen verbucht. Aus der Addierung der Emissionen aus der Produktion und dem Transport resultiert letztlich der entsprechen geringere CO2-Fußabdruck.
2. Recycling- und Rücknahmepflicht
Bei der Betrachtung des gesamten Lebenszyklus wird deutlich, dass neben der Herstellung der Module, auch das Recycling von ausgedienter Technik eine zentrale Rolle spielt. Nur wenn Module einheitlichen Recyclingstandards unterliegen, kann eine Wiederverwertung von Komponenten und Rohstoffen sichergestellt werden. Insbesondere für seltene Rohstoffe müssen kreislauffähige Rohstoffkonzepte erstellt und ermöglicht werden. Vor diesem Hintergrund ist eine Recyclingpflicht für Hersteller von Elektrolyseuren empfehlenswert. Die Wiederverwertung von Rohstoffen ist in Zeiten von unsicheren internationalen Lieferketten insbesondere für Hersteller eine Möglichkeit, die Bezugs-quellen für seltene Rohstoffe zu diversifizieren und die Abhängigkeit von einzelnen Ländern zu reduzieren.
Darüber hinaus würde eine Rücknahmepflicht für Elektrolyseure die Hersteller verstärkt in die Pflicht nehmen, die Anlagen möglichst kompatibel mit einer Kreislaufwirtschaft zu konzipieren und zu bauen. Diese Pflichten stehen im Einklang mit Nachhaltigkeits-anforderungen an die Wiederverwertbarkeit von Komponenten und verbauten Ressourcen. Die Emissionen, die beim Rücktransport im Rahmen der Rücknahmepflicht anfallen, sollten mit den vorgeschlagenen Faktoren ebenfalls auf den CO2-Fußabdruck angerechnet werden.
Aktuell wird auf europäischer Ebene ein Verbot von Per- und polyfluorierte Chemikalien (PFAS) diskutiert. Die Emissionen von PFAS durch Elektrolyseure müssen dabei differenziert betrachtet werden. Mit Blick auf Emissionen durch PFAS müssen einheitliche und verbindliche Standards für die geförderten Anlagen gelten. Sobald von europäischer Seite Standards für den Umgang mit PFAS festgelegt werden, muss deren Einhaltung Teil der Ausschreibungskriterien sein.
3. Sicherheit
Wenn in Zukunft Elektrolyseure zunehmend zur Stabilisierung des Stromsystems eingesetzt werden, wird die Diskussion um die Sicherheit weiter an Bedeutung gewinnen. Deshalb müssen Elektrolyseure als Teil der kritische Infrastruktur eingestuft werden und die damit verbundenen Sicherheitsstandards angepasst werden. Bereits heute gibt es sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene strenge Sicherheitsvorgaben für die kritische Infrastruktur.
Der Bereich Cybersecurity ist in verschiedenen Regelwerken erfasst. Auf nationaler Ebene regeln in Deutschland die KRITIS-Verordnung und das BSI-Gesetz, welche Anforderungen für Anlagen bzw. EDV-Geräte, die in der kritischen Infrastruktur eingesetzt werden, gelten. Die EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) stellt hohe Anforderungen an den Datenschutz. Es muss zu jedem Zeitpunkt sichergestellt werden, dass die eingesetzten Anlagen die europäische und nationale Sicherheit der Mitgliedsstaaten nicht beeinträchtigen, sondern stärken. Elektrolyse-Anlagen, die im Energiesystem als Teil der kritischen Infrastruktur eingesetzt werden, müssen zu jedem Zeitpunkt gesichert und uneingeschränkt einsetzbar sein. Im Betrieb darf es für Hersteller nicht möglich sein, auf die Steuerung der Elektrolyse-Anlagen zuzugreifen.
Der Betrieb von Elektrolyseuren ist über die technische Nutzung hinaus mit einer intensiven Generierung von Daten verbunden. Diese Daten sind essenziell für die Auswertung der Perfomance und somit für die Verbesserung der Anlagen. Es ist wichtig, dass diese Daten nicht ungefiltert ins Nicht-EU-Ausland abfließen. In der Anwendung sollte ab einer Kapazität von 1 MW, die im Netz eingebunden ist, eine Risikoanalyse notwendig werden. Der DWV begrüßt und unterstützt die geltenden Rechtsvorschriften zur Cybersicherheit und fordert deren konsequente Umsetzung. Zudem sollte das Kritis-Dachgesetz (KritisDG) zeitnah in nationales Recht umgesetzt werden.
Die funktionale Sicherheit umfasst die technischen Herausforderungen, die mit der technischen Funktionalität der Anlagen verbunden ist. So werden einige zentrale Komponenten als Ergebnis von komplizierten internationalen Lieferketten produziert. mögliche Störungen oder bewusste Unterbrechungen durch Embargos könnten zur Stilllegung von Elektrolyseuren in der EU führen, solange diese Teile nicht auch innerhalb der EU verfügbar sind. Aus diesem Grund muss eine resiliente Industriepolitik berücksichtigen, dass die Produktion und Lieferung von Komponenten möglichst divers aufgestellt ist. Für den gesamten Komplex der Sicherheit von Elektrolyseuren müssen im Voraus Risikoeinschätzungen zur Bewertung von Abhängigkeiten von Unternehmen vorgenommen werden.
Rechtfertigung der Kriterien
In der Europäischen Union sind eine Vielzahl von Elektrolyseur-Herstellern ansässig. Die hier vorgeschlagenen Kriterien erhöhen die Chancen, dass sich auch in Zukunft eine wett-bewerbsfähige Wasserstoffindustrie in der EU erhalten und die Unternehmen aus Kosten-gründen aus der EU abwandern. Es muss das Ziel sein, kritisches Know-how und Wertschöpfungsketten in Europa zu halten.
Die Branche steht bereit, um zusammen mit der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament daran zu arbeiten, dass Dekarbonisierung und Industrialisierung Hand in Hand gehen können. Mit dem Net-Zero Industry Act (NZIA) hat der europäische Gesetzgeber bereits wegweisende Ziele gesetzt. Es ist an der Zeit, sie mit konkreten Werkzeugen auf nationaler Ebene umsetzbar zu machen. Die Vorschriften zur Ausgestaltung der Europäischen Wasserstoffbank (EHB) zur Herkunft von Elektrolyseuren bieten uns eine erste große Chance dafür.
Der Deutsche Wasserstoff-Verband (DWV) steht für sein Mitglieder im kontinuierlichen Austausch zu den hier angeführten Punkten mit den Entscheidungsträgern in der Europäischen Kommission, im Europäischen Parlament sowie auf Ebene der nationalen Regierungen und Parlamenten zur Verfügung.
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