Stellungnahme zum Antrag der Fernleitungsnetzbetreiber für ein Wasserstoff-Kernnetz vom 22. Juli 2024
Der Deutsche Wasserstoff-Verband e.V. (DWV) bedankt sich für die erneute Gelegenheit zur Stellungnahme zum Wasserstoff-Kernnetz und begrüßt den nun vorliegenden Antrag der Fernleitungsnetzbetreiber.
Im Allgemeinen verweist der DWV auf seine Stellungnahme vom 08. Januar 2024 zum damaligen Antragsentwurf und möchte die dort aufgeführten Punkte nochmals bekräftigen, soweit diese noch nicht adressiert worden sind.
Dass das Wasserstoff-Kernnetz jetzt final auf den Weg gebracht wird, ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einer resilienten, erneuerbaren Energieversorgung in Deutschland und Europa mit grünem Wasserstoff. Dabei wird insbesondere die geschlossene Position der Fernleitungsnetzbetreiber (FNB) gewürdigt, welche den Antrag gemeinsam abgegeben haben und sich zum Aufbau des Kernnetzes bekennen. Hiervon zeugen die bereits begonnenen Vorarbeiten für einige der Maßnahmen.
Die Mitglieder des DWV möchten mit dem Vorliegen des jetzigen Antrags jedoch einige weitere bzw. neu aufgekommene Punkte unterstreichen, die es jetzt zu adressieren gilt, damit das Kernnetz seiner zentralen Rolle für die bundes- und europaweite Wasserstoffversorgung gerecht werden kann. Unabhängig hiervon ist von größter Wichtigkeit, dass eine Bestätigung des Kernnetzes durch die Bundesnetzagentur (BNetzA) so zeitnah wie möglich erfolgt, um Planungssicherheit über die Genehmigung der Leitungen zu schaffen.
Diese Stellungnahme bezieht sich auf einen durch die Fernleitungsnetzbetreiber erstellten Antrag zum Wasserstoff-Kernnetz, weswegen die Stellungnahme des DWV unter Enthaltung der Fernleitungsnetzbetreiber erfolgt.
Benennung verantwortlicher FNB
Der DWV nimmt erfreut zur Kenntnis, dass für den Großteil der Leitungen ein verantwortlicher FNB benannt worden ist. Gleichzeitig steht die Nennung eines verantwortlichen Unternehmens in einigen Fällen noch aus. Dies kann nach § 28q Absatz 7 EnWG noch nachträglich sowie nach einer erneuten Überprüfung der Leitungen, welche nach 2027 in Betrieb gehen, geschehen (vgl. nächster Punkt). Dabei spielt die integrierte Netzentwicklungsplanung Gas und Wasserstoff eine wesentliche Rolle.
Der DWV betont, dass die nachträgliche Benennung eines verantwortlichen FNB so zeitnah wie möglich erfolgen sollte, um Netznutzern auf Produktions- und Abnahmeseite Planungssicherheit zu geben. Auch wenn im Antrag der FNB betont wird, dass dies keine Auswirkungen auf die Realisierungswahrscheinlichkeit einzelner Projekte habe, so hat dies dennoch das Potenzial, Marktteilnehmer zu verunsichern und somit Projekte zu verzögern, was wiederum Auswirkungen auf Bedarfe und damit die Realisierung der Leitungen hat. Das vorübergehende Fehlen von Ansprechpartnern für die Netznutzer vor Ort ist ebenso ein potenzielles Hemmnis.
In jedem Fall sorgt Attentismus bei den Wasserstoffprojekten, selbst wenn die Leitungen in Betrieb genommen werden, für eine vorübergehende Unterauslastung der Leitungen und einer stärkeren Belastung des Amortisationskontos, was die finanzielle Belastung aller potenziellen Netznutzer in der Zukunft verstärkt. Es sind hauptsächlich große Akteure, die finale Investitionsentscheidungen eingehen können, ohne die vollständige Gewissheit zu haben, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Zugang zum Kernnetz besteht.
Die Bundesnetzagentur sollte mit ihrer Bestätigung die Klarstellung verbinden, dass die Realisierung der Leitungen bei Vorliegen der Bedingungen gesichert ist. Dabei sollte sie auch den rechtzeitigen Vollzug der Errichtung der genehmigten Leitungen kontrollieren sowie gegebenenfalls den Erlass von Sanktionen bei verspäteter Bereitstellung prüfen. Es sollte ebenso geklärt werden, wie aus Sicht der Netznutzer mit einer Verzögerung der Inbetriebnahme von Leitungen umgegangen wird, da dies mit erhöhten Risiken für die Freigabe finaler Investitionsentscheidungen verbunden sein kann.
Überprüfung und erneute Bestätigung der Kernnetz-Maßnahmen
Die Überprüfung der Kernnetz-Maßnahmen, welche nach 2027 in Betrieb gehen, im Rahmen der integrierten Netzentwicklungsplanung (NEP) sowie die gegebenenfalls zeitliche Streckung der Inbetriebnahme einzelner Maßnahmen bis 2037 ist grundsätzlich sinnvoll, um die Inbetriebnahme der Leitungsabschnitte mit dem tatsächlichen Wasserstoffhochlauf zu synchronisieren. So können sich geringere Gesamtkosten und damit bessere Konditionen für das Amortisationskonto ergeben.
Eine Bestätigung im Rahmen des NEP-Prozesses darf grundsätzlich nicht zu weiteren Unsicherheiten bei Netznutzern auf Produktions- und Abnahmeseite führen. Es muss klar sein, dass die Leitungen in jedem Fall zeitgerecht realisiert werden, wenn der Bedarf aus Wasserstoffprojekten oder aus Abnahmesicht vorhanden ist. Daher sollten die in Betracht kommenden Leitungen schon möglichst im Rahmen des ersten integrierten NEP bis 2026 bestätigt werden. Zeitliche Verschiebungen bei der Inbetriebnahme der Leitungen sind nur dann opportun, wenn die Wasserstoffprojekte selbst eine Verzögerung aufweisen. Wasserstoffprojekte müssen für den Fall ihrer erfolgreichen Realisierung schon heute davon ausgehen können, dass die Leitungen gesichert zur Verfügung stehen.
Das Risiko für den Wasserstoffhochlauf, wieder in die „Henne-Ei-Problematik“ zu geraten und deshalb vermehrt Wirtschaftlichkeitsprobleme aufkommen, ist bei einer Verschiebung der Inbetriebnahme von Leitungsabschnitten grundsätzlich weiter gegeben. Vor diesem Hintergrund nimmt der DWV auch die bereits angekündigte zeitliche Verschiebung einiger Leitungsabschnitte besorgt zur Kenntnis.
Vor diesem Hintergrund betont der DWV erneut, dass eine zeitliche Kohärenz der Inbetriebnahme der Leitungsabschnitte mit den Bedingungen für die IPCEI-Projekte und deren Mittelabruf sicherzustellen ist. Klar ist aber, dass sich aufgrund der verzögerten Übergabe der Förderbescheide vereinzelt auch Bedingungen für das Kernnetz verändert haben.
Regulatorische Einordnung weiterer Kernnetzbetreiber
Im Rahmen der Leitungsmeldungen von Akteuren, die keine FNB sind, wurden insgesamt ca. 800 Kilometer an Leitungen mit als Teil des Wasserstoff-Kernnetzes beantragt.
Wie die FNB in ihrem Antrag darlegen, erfolgt dies „unabhängig davon, dass einige der weiteren potenziellen Wasserstoffnetzbetreiber die Verwendung ihrer Leitungsmeldung unter verschiedene Vorbehalte der Klärung des regulatorischen und finanziellen Rahmens für das Wasserstoff-Kernnetz gestellt“ hätten.
Die fehlende regulatorische Ausarbeitung des Status der Akteure, die solche Leitungen gemeldet haben, muss schnellstmöglich durch den Gesetzgeber erfolgen. Dies hat das Potenzial, erhebliche Verunsicherung zu schaffen. Insbesondere entflechtungsrechtliche Fragen sind dabei zu klären.
Fehlende Berücksichtigung stromsystemrelevanter Kraftwerksstandorte mit über 100 MW Leistung
Aus Sicht des DWV werden einige Regionen in Deutschland geografisch im Kernnetz nicht berücksichtigt, die allerdings einen erheblichen Wasserstoffbedarf zu Spitzenzeiten aufweisen werden, etwa durch H2-ready-Kraftwerke. Dies liegt daran, dass die Modellierung des Kernnetzes hauptsächlich große KWK-Anlagen hat einfließen lassen, jedoch nicht zwangsläufig Standorte klassischer Gasturbinenkraftwerke.
Damit wird ein wichtiges Kriterium der Kernnetz-Planung missachtet, nämlich, dass Standorte, an denen „hinreichend konkrete Planungen bezüglich einer späteren Umstellung auf den Wasserstoffbetrieb vorliegen“, zwingend zu berücksichtigen sind. Dies gilt umso mehr angesichts der Tatsache, dass diese Kraftwerke im Einzelfall auch aus Stromnetzsicht und zur Vermeidung von Redispatch relevant sind. Dies führt beispielsweise im Saarland dazu, dass die Kraftwerksstandorte vorerst nicht am Kernnetz angeschlossen sind. Würde man die Anbindung realisieren, ließen sich noch weitere Industriestandorte erschließen, welche mit einer hohen Wasserstoffnachfrage rechnen.
Offene Regulatorik – Hochlaufentgelt und zukünftige Marktrollen
Der DWV betont, dass die in Teilen noch offenen regulatorischen Fragen, wie beispielsweise die Festlegung des Hochlaufentgelts durch die Bundesnetzagentur, so schnell wie möglich beantwortet werden müssen. Ebenso muss ein Finanzierungsmodell für die Wasserstoffverteilnetze festgelegt werden, wie auch für die Wasserstoffspeicher. Auch hier ergeben sich ähnlich Herausforderungen wie beim Wasserstoff-Kernnetz – wenige Nutzer zu Beginn stehen den hohen Investitionskosten gegenüber.
Es muss ein Vermarktungsregime festgelegt werden, welches den diskriminierungsfreien Zugang der Netznutzer zu den Ein- und Ausspeisekapazitäten des Kernnetzes ermöglicht. Durch die BNetzA müssen in Zusammenarbeit mit Netznutzern, FNB und den Verteilnetzbetreibern (VNB) Regelungen getroffen werden, welche die Beschaffung von Netzausgleichsdienstleistungen und allgemein das Management von Ungleichgewichten im Netz absichern. Dies kann auch im Rahmen der Erarbeitung der network codes geschehen.
Zusammenspiel von Kraftwerksstrategie und Kernnetz
Der DWV begrüßt, dass die FNB die Entwicklungen rund um die Kraftwerksstrategie genauestens berücksichtigen wollen. Durch die wiederholten Anpassungen der Bundesregierung an der Kraftwerksstrategie haben sich seit Januar 2024 auch Änderungen für das Kernnetz ergeben. Der DWV betont erneut, dass die starke gleichzeitige Ausspeisung durch Wasserstoffkraftwerke aus dem Netz auch adäquat dimensioniert sein muss.
Angemessenheit des Kernnetzes im europäischen Energiesystem
Das Design des Kernnetzes sollte die erwartete relative Wettbewerbsfähigkeit der Wasserstoffproduktion innerhalb Deutschlands und in anderen europäischen Regionen angemessen berücksichtigen. Dies gilt auch für den erforderlichen Austausch von Wasserstoff zur sicheren Energieversorgung, der sich aus den gesamteuropäischen Wasserstoffkorridoren, die im Rahmen der TEN-E-Verordnung als Project of Common Interest (PCI) identifiziert wurden, ergeben wird. Daher wird es entscheidend sein, die erwarteten Importvolumina über Pipelinetransport sowie deren wirtschaftliche Eigenschaften zu berücksichtigen, um Engpässe an den Interkonnektoren möglichst vorausschauend zu vermeiden. Insbesondere ist die Angemessenheit des Designs der Interkonnektoren an den Grenzen zu Dänemark und Frankreich, die potenziellen Zuflüsse von wettbewerbsfähigem erneuerbarem Wasserstoff aus Skandinavien, der Iberischen Halbinsel und Südosteuropa zu berücksichtigen. Dafür ist von Seiten der BNetzA der Kontakt zu den Regulierungsbehörden benachbarter Staaten zu suchen.
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